Ein wahrhaft paradiesischer Friede wird hier verheißen. Man sieht es erst, wenn man genau hinschaut. Zwischen den Pfoten des vorne lagernden Löwen befinden sich nämlich Lämmer, offensichtlich ohne etwas fürchten zu müssen. Weiter hinten stellt sich eine Bärin auf ihre Füße, nicht weit von ihr steht eine Kuh; auch da gibt's keine Probleme des Zusammenlebens.
Wie ist das möglich? Einfach aus Sehnsucht auf eine Welt, wie sie sich die Menschen erträumen? Eine Welt, wie sie vielleicht einmal am Uranfang existiert hat und wie sie am Ende der Zeit wieder Realität werden soll?
Ich bin Ulrich Leive dankbar dafür, dass er im Vordergrund einen Flötenspieler hinstellt. Das ermöglicht uns eine noch ganz andere Interpretation des Bildes. Wer erinnert sich nicht daran, dass die mythologische Gestalt des Orpheus durch sein Spiel imstande war, die wilden Tiere um sich zu versammeln und ihre Wildheit zu bezähmen? (siehe auch den Exkurs zu Genesis Bild 74).
Schon im Altertum wurde Christus mit Orpheus verglichen. Durch seine Musik - nämlich die Lehre von der Nächstenliebe - bringt er die Menschen dazu, in Frieden zu leben. Erstens einmal jeder einzelne mit sich selber, indem er seine sich oft widerstrebenden Leidenschaften in eine stabile Harmonie bringt. Und dann im gemeinschaftlichen Zusammenleben, sodass die im Charakter verschiedenen Menschen sich nicht gegenseitig auffressen, sondern jeder den andern annimmt und fördert. Das genügt mir als Friedensverheißung.
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