Bild 29 und Bild 30
Dasselbe Thema wird von Ulrich Leive zweimal dargestellt. Betrachten wir zuerst die Übereinstimmungen!
Links unten sehen wir den Propheten, der mit geneigtem Kopf auf die Botschaft lauscht, die ihm eingegeben wird. In der Mitte ist der endlose Strom von Heimkehrenden, die zum heiligen Berg kommen, voll Jubel und Feststimmung. Sie sind angeführt von David, der auf seiner Harfe ein Loblied anstimmt, das sie alle singen werden. Rechts außen steht eine imposante Gestalt, die ein Buch um ihren Hals gehängt hat. Wer sich die Mühe nimmt, die Punkte auf dem Buchdeckel zu zählen, wird feststellen, dass es zehn sind; also ist der Mann wohl Mose, der die Zehn Gebote verkündet. Links am Rand des Bildes ist ein in einer Schriftrolle Lesender zu sehen; vermutlich liest er daraus die für das Gemälde entscheidenden Verse Jesaja 35,9-10.
Und nun zu den Unterschieden! Das Zentralheiligtum auf beiden Bildern hat offensichtlich nicht die gleiche Gestalt. Auf Bild 29 werden wir an das heutige Jerusalem erinnert: sind das nicht der Felsendom mit seiner goldenen Kuppel und die Aqsa-Moschee davor? Es scheint auch kein Zufall, dass darüber ein schiefer Halbmond hängt? Dann wären wir an einem der heiligsten Orte des Islam? Aber oben rechts hat Leive den Juda-Löwen hingestellt: also sind auch die Juden im Zug der Heimkehrenden und kommen zum gleichen Ort, wo einst ihr Tempel stand? Nehmen wir das Bild 30 hinzu, dann ist der Unterschied zwischen den beiden Gemälden unübersehbar: dieses Heiligtum ist eine christliche Kirche! Dann gesellen sich also auch die Christen zum Zug der Heimkehrenden - steht oben rechts nicht ihr Jesus mit ausgebreiteten Armen? Die Landschaft ist allerdings weniger südländisch als auf dem andern Bild - also irgendwo in Europa oder sonstwo?
Wir sehen die Absicht, die hinter den beiden Bildern zum gleichen Thema steht: die Heimkehrenden kommen zwar aus verschiedenen Richtungen, haben aber das gleiche Ziel, nämlich das Lob des Einen Gottes. Und die Zehn Gebote verbinden sie untereinander, jedenfalls nach der Sicht des Schweizer Theologen Hans Küng, der dem „Weltethos“, das alle Religionen verbindet, die Zehn Gebote unterlegt.
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