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Die Leive-Bibel
Matthäusevangelium - Bild 64
Das Schweißtuch der Veronika und die authentischen Christusbildnisse
Ein Beitrag von Manfred Melles




Veronika © Ulrich Leive


Veronika


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Das Schweißtuch der Veronika und die authentischen Christusbildnisse

Veronika 2 © Ulrich Leive   Interessant ist es, eine Linie zu verfolgen, die es seit dem 5. Jahrhundert gibt, wo ein reifer, würdiger Christus mit in der Mitte gescheiteltem langen Haar erscheint. Durch die Jahrhunderte wiederholt sich ein bestimmter Typus, der sich auf eines der vermuteten Urbilder beruft.
   Diese Acheropita (nicht von Händen gemachten Bilder) sollen auf übernatürliche Weise entstanden sein, so ein Christusbild von Memphis oder ein Mandylion (spätgr. «Handtuch»), seit 944 in der kaiserlichen Kapelle von Konstantinopel bezeugt, identisch mit dem älteren Edessabild, dem Ur-Urbild eines Acheiropoieta überhaupt, einem Bild, das der Legende nach von König Abgar, der mit Jesus einen Briefwechsel unterhielt, in Auftrag gegeben worden war, so Eusebius in seiner Kirchengeschichte. Jesus soll ihm, der ihn um Heilung gebeten und ihn zu sich eingeladen hatte, auch ein Schweißtuch, auf dem sich sein Gesichtsabdruck fand, geschickt haben, wodurch sich die Echtheit seines Abbildes gleich doppelt ableiten lässt.

   Veronika 3 © Ulrich Leive Zu dieser Legende passt gut diejenige vom Schweißtuch der Veronika, das als «Vera Ikon», als «wahres Bild», das «wahre» Abbild Christi zeigt. Veronika, die an Blutfluss litt und von Jesus geheilt wurde (vielleicht die Frau aus Mt 9,20-22 und Mk 5,25-34 und die Berenike aus dem apokryphen Nikodemusevangelium), befindet sich unter den Frauen am Kreuzweg, als der Verurteilte vorüberzieht. Aus Mitleid wischt sie ihm mit einem Tuch das blutige und verschwitzte Gesicht ab. Sie wird unmittelbar belohnt, da auf dem Tuch der Abdruck vom «Antlitz Christi» festgehalten wird und sie auf diese Weise in den kostbaren Besitz einer einzigartigen Reliquie gelangt.
   Hier haben wir es mit einer typisch «ätiologischen Erzählung» zu tun, d.h. das Vorhandensein eines Gegenstandes, eines Bildes wird im Nachhinein durch ausschmückende Erzählungen auf seine Ursachen zurückgeführt und in seiner Besonderheit legitimiert. Historisch betrachtet gibt es natürlich kein authentisches Bild. Überliefert wird kirchlicherseits immer ein Kultporträt, jedoch sind Bilder wie Bilderkult nicht aufgrund theologischer Überlegungen entstanden; sie sind vielmehr auf dem Boden einer aus dem Heidentum hervorgegangenen Volksfrömmigkeit gewachsen.

   Vor allem in der östlichen Ikonentradition sollte das «authentische Urbild» weitergereicht werden, was bedeutete, dass man es in seiner Grundstruktur nicht mehr verändern durfte, damit für den praktizierten Glauben die Heiligkeit des Gegenstandes gewahrt blieb.
Veronika 4 © Ulrich Leive   Im Mittelalter wurde als eine Art Konkurrenz zum Abgarbild das Schweißtuch der Veronika auch im Westen ein beliebtes Motiv, jeweils nach dem «Original« erstellt, bekannt durch ein Hauptwerk der Kölner Malerschule des Meisters der Veronika mit dem Schweisstuch, aber auch durch Bilder von Jan van Eyck, Hans Memling, Albrecht Dürer und anderen.

   Das «wahre» Porträt wird allmählich variiert. Man begnügt sich nicht mit einer reinen Wiederholung. Auch Veronika selbst wird mit dargestellt. Legende und Reliquie konnten in einem Bild angeschaut werden. Im Westen ging man freier mit einem vorgegebenen Thema um, erweiterte es sogar durch erzählerische Motive. So verfährt der Meister des Schweisstuches der Veronika, so machen es die Nachfolgenden. Dürer blendet in seinem Kupferstich von 1513 die Gestalt der Veronika aus. Bei ihm halten Engel das Tuch mit dem Abdruck eines Gesichts, das von der Dornenkrone und Spuren des Leidens gezeichnet ist. Jan van Eyck macht ein richtiges Porträt daraus, denn er will sein ganzes künstlerischs Können vorführen.
   Immer wieder neu und in immer anderer Zielrichtung wird die Grundidee interpretiert. Das Andachtsbild ließ eine Fülle von Anwendungen und Auslegungen zu. Dabei spielt die jeweilige religiöse Einstellung des Auftraggebers und des Betrachters, später immer mehr auch die des Malers eine wesentliche Rolle. Dieses Vorwissen hat Bedeutung für die Bilder von Ulrich Leive, die in den dargestellten Traditionen stehen.

   Das authentische Bild als Abdruck auf einem Tuch war trotz verschiedener Legenden das verbindende Merkmal von Abgarbild und Veronika. Die Idee lässt sich bis in die Frühzeit der Ikonen zurückverfolgen.

© Manfred Melles

Auszug aus: Melles, Manfred, JESUS SCHWEIGT. Ulrich Leive und seine Gemäldeserie vom Antlitz Christi. Andachtsbilder einer zukünftigen Religiosität (mit ausführlichen Quellenangaben), Manuskript o.J.

Veronika, Variante 1 © Ulrich Leive
Veronika, Variante 2 © Ulrich Leive
Veronika, Variante 3 ©Ulrich Leive
Veronika, Variante 4 © Ulrich Leive
Veronika, Variante 5 © Ulrich Leive



Simon muss das Kreuz tragen © Ulrich Leive
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Die Kreuznagelung © Ulrich Leive


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Diese Seite wurde zuerst erstellt am 09. 10. 2007 / Zuletzt bearbeitet am 09. 03. 2015

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